We do not mean, in insisting upon the doctrinal basis of Christianity, that all points of doctrine are equally important.
(Gresham Machen, Christianity and Liberalism, S. 40-41)
Wenn wir auf Meinungsverschiedenheiten mit einem anderen Gläubigen stoßen, sollten wir dann unsere Meinung ändern ... oder an unserer Meinung festhalten?
Mit dieser spannungsvollen Frage startet der baptistische Theologe Rhyne Putman seine Entdeckungsreise (nachzulesen im Buch When Doctrine Divides The People of God: An Evangelical Approach to Theological Diversity). Die Frage ist essentiell. Fast täglich, durch das Internet noch verstärkter, sind wir mit Meinungen anderer Christen 'konfrontiert', die unseren Glaubensauffassungen konträr gegenüberstehen. Gerade inmitten der grossen Umschwünge im evangelikalen Umfeld, wo man einst klare Überzeugungen heute mit Fragezeichen versieht, drängt sich diese Frage immer mehr in den Vordergrund: Liege ich falsch und sollte ich meine alte Meinung vielleicht ändern? Oder halte ich besser an meiner Überzeugung fest? Nach welchen Kriterien soll ich das eine tun oder das andere lassen? Wie gewichte ich, was wirklich wichtig und was vielleicht weniger wichtig ist?
Wann sollte ich meine Meinung überdenken und vielleicht ändern?
Meinungsänderungen sind Teil der menschlichen Erfahrung, Teil der Art und Weise, wie wir lernen und wachsen. Manche Sinnesänderungen können gut sein ... andere könnten unserer Seele nicht gut tun. (Putman, S. 176)
Es gibt ja unendlich viele Meinungen in dieser Welt. Begrenzen wir das Feld einmal auf das 'kirchlich-evangelikale' Milieu, wo man annehmen müsste, dass man grundlegende Glaubensvorstellungen miteinander teilt. Doch gerade in diesem sehr begrenzten Feld trifft man heute auf tausendundeine Meinung, zahlreiche Kuriositäten und zig mögliche Ausstaffierungen zu fast jedem Thema. Wie gehen wir damit um?
Putman schlägt als Erstes vor, dass wir klären sollten, ob unsere Meinungen wirklich gar keine Schnittmenge aufweisen und komplett auseinandergehen. Es könnte ja sein, dass wir vom selben reden, einfach mit unterschiedlichem Vokabular. Oder dass wir Themen aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten und die verschiedenen Perspektiven sich eigentlich ergänzen könnten. Schliesslich haben wir auch die vier Evangelien, und damit vier Blickwinkel auf das Leben Jesu in der Bibel. Also, bevor wir einander widersprechen, sollten wir zunächst einmal sehr gut zuhören! Denn unsere Meinungsverschiedenheiten könnten illusorisch sein (Rhyne Putman nennt dies illusory disagreements). In anderen Worten, manchmal widersprechen wir einander, obwohl wir unter dem Strich gar nicht sooo weit weg auseinander liegen. Willkommen im Zeitalter der Polemik!
Abgesehen davon, gibt es dann immer noch mehr als genug Meinungen auf unserem evangelikalen Marktplatz. Wie gehe ich damit um, wenn ich einem christlichen Bruder oder einer christlichen Schwester begegne, deren Meinungen mich in einem für mich wichtigen Glaubensthema herausfordern? Putman benennt diese Faktoren, die dazu beitragen, wie wir unsere unterschiedlichen Ansichten formen (disagreement factors):
Welche Texte formen unsere Meinung? Arbeiten wir mit denselben Quellen, oder mit unterschiedlichem Material und wie beeinflusst das unsere Uneinigkeit?
Wie viel Zeit haben wir in das Thema investiert? Habe ich mich nur oberflächlich mit einer Thematik befasst, wogegen mein Gegenüber schon jahrelang in der Materie drin ist?
Ähnlich: wie unterschiedlich sind unsere Skills? Wenn ich mit einem Hebräisch-Experten über die Bedeutung eines Wortstammes diskutiere, bin ich eher geneigt, meine eigene Überzeugung zu hinterfragen (ausser ich bin selber ein Experte).
Wie unterscheiden sich unsere Umstände, die Motivation, ein bestimmtes Thema zu beackern und wie wirkt sich das aus?
Bei mir kommt es ab und an vor, dass ich meine Meinung ändere, weil ich einer anderen Meinung, Auslegung oder Position begegne, die mich überzeugt. Ein solcher Prozess ist ganz normal und findet in verschiedenen Phasen des christlichen Lebens statt.
[Wir ändern dann unsere Meinung], wenn wir von einer allzu einfachen Lesart einer Bibelstelle zu einer fundierteren, differenzierteren Lesart übergehen, z. B. indem wir auf interpretative Meinungsverschiedenheiten mit denen stoßen, die sich länger mit dem Studium eines Themas beschäftigt haben oder über mehr Fähigkeiten und besseres Hintergrundwissen verfügen. (S. 90)
Und was ist, wenn ich meine Meinung nicht ändern kann, weil mich die andere Position doch nicht überzeugt (egal wie gut die andere Meinung 'recherchiert', begründet und etabliert ist)? Ja, manchmal muss man sich selbst nach gründlichem Studium darauf einigen, sich nicht einigen zu können. Das kann manchmal gut gehen, wenn die Sache, in der man sich nicht einigen kann eher 'nebensächlich' ist. Schwieriger wird es, wenn es um grundlegende Dinge, um die identitätsstiftenden Glaubenslehren geht. Wobei die ja wieder definiert werden müssen: Wer sagt, welches die zentralen Glaubenslehren sind? Und damit sind wir beim eigentlichen Knackpunkt des Themas angelangt.
Wann ist es soweit, dass wir uns von anderen Meinungen verabschieden sollten?
Wir kommen jetzt ans Eingemachte, zu den Dingen, worüber (evangelikale) Christen sich heute streiten und auch trennen. Warum geschieht das immer wieder und könnte sowas nicht vermieden werden? Lohnt sich dieser Streit überhaupt?
Zuerst einmal sollte klar sein: christliche Einheit ist ein erstrebenswertes geistliches Ziel (siehe Joh 17, Eph 4,1-16, Phil 2,2, Römer 15,5). Wir trennen uns nicht leichtfertig und über letztlich unwichtigen Nebensächlichkeiten. Das wäre doch schade. Leider gibt es immer wieder Trennungen ob solcher Paraphernalia wie verschiedene Endzeitszenarien, oder ob man als Christ(in) lange oder kurze Haare haben darf, usw. Keines dieser Themen ist letztlich uninteressant, aber man darf sich schon fragen, ob solche 'Randthemen' zum Kern des christlich-evangelikalen Glaubens gehören sollen (ähm, Randthemen können ja schon der Begrifflichkeit wegen gar nicht zum Kern gehören). Trotzdem kommt es vor, dass man fast jedes Thema auf der Ebene der 'unverhandelbaren, total grundsätzlichen Lehrsätze' ansiedeln will. Auf der anderen Seite des Pferdes heruntergefallen gibt es natürlich auch die Stimmen, die behaupten, dass sowieso alles relativ ist, das eine nicht wichtiger als das andere sein kann. Das alles nur subjektive Meinung ist und nicht mit der objektiven Wahrheit verwechselt werden darf.
Für viele von uns Evangelikalen ist es jedoch auch klar, dass wir im christlichen Alltag, als einzelner Christ oder als Gemeinde und Gemeindeverbände, nicht ohne theologische Unterscheidungen und Gewichtungen auskommen können. Was ist wirklich wichtig und verlangt sogar, dass wir uneins bleiben? Über was könnte man eventuell hinwegsehen? Putman zeichnet die Extreme:
Wie ziehen wir die Grenze zwischen gewöhnlichen [normalen] theologischen und interpretativen Meinungsverschiedenheiten und „falscher Lehre, die nicht mit der gesunden Lehre unseres Herrn Jesus übereinstimmt und die keine Frömmigkeit fördert“ (nach 1 Timotheus 6,3)?
Ebenfalls ist klar, dass Christen (sogar die evangelikalen Christen) seit immer schon mit unterschiedlichen Gewichtungen gearbeitet haben (Putman nennt dies theological taxonomies). Nicht jedes Thema ist gleich gewichtig. Aber manche Themen führen eben zu Konflikten und Trennungen, gerade weil sie wichtig und zentral sind.
Mohler bringt in diesem Zusammenhang den Begriff der Triage ins Spiel, ein Begriff aus der Notfallmedizin. Google erklärt uns diesen Begriff so:
Die Triage hilft, Patienten mit zeitkritischem Handlungsbedarf strukturiert zu erkennen und gilt als erste Massnahme nach dem Eintreffen im Notfallzentrum.
Übertragen auf unser Thema meint theologische Triage, so wie Mohler es sieht, dass wir zwischen den wichtigeren, dringenderen sowie den unwichtigeren, nebensächlicheren theologischen Themen gewichten müssen. In anderen Worten, es gilt zu überlegen, wo man seine Energie verschwenden will und wo sich ein solcher Einsatz nicht lohnt.
Nur, wie soll diese Gewichtung geschehen?
Im Wesentlichen Einheit, im Unwesentlichen Freiheit, in allen Dingen Rücksichtnahme
Gemäss dem Kirchenhistoriker Philip Schaff ist dies eines der frühesten protestantischen Mottos überhaupt (in History of the Christian Church, 6:650-51). Zu diesen wesentlichen Glaubenslehren gehörten (laut dem Theologen Rupertus Meldenius) folgende:
Lehren, die das Heil in Christus betreffen und die man glauben muss, um dieses Heil zu ergreifen.
Lehren, die in der Schrift klar und explizit offenbart werden.
Lehren, die universell von allen Christen und in den christlichen Bekenntnissen bejaht werden.
Lehren, die von der Kirche als notwendig angesehen werden.
Dementsprechend war die Idee, dass bei allen Themen 'ausserhalb' dieser essentiellen Lehren grössere interpretatorische Freiheit walten sollte. Gemäss Rupertus Meldenius betraf dies all die Dingen, die in der Bibel nicht explizit und klar genannt werden oder die Lehren, die nicht von allen christlichen Traditionen geteilt werden. Gerade weil es nicht leicht zu verstehen ist, warum Paulus im Brief an die Korinther von einem Kopftuch und von langen Haaren spricht, sollte man sich zugestehen, dass man bei dieser Sache zu unterschiedlichen Auslegungen kommen kann. [1]
Wieder zurück in unserer Zeit, schlägt Mohler mit seiner theologischen Triage diese drei Ebenen der Gewichtung vor: [2]
Lehren erster Ordnung '... stellen die grundlegenden Wahrheiten des christlichen Glaubens dar, und eine Leugnung dieser Lehren bedeutet nichts weniger, als letztendlich eine Leugnung des christlichen Glaubens selbst.' (aus Four Views on the Spectrum of Evangelicalism, S. 78)
Lehren zweiter Ordnung betreffen Lehrunterschiede, die zu denominationellen Trennungen führen (wie z. B. die Tauffrage oder Fragen zur Struktur der Kirche). Wie Mohler meint: 'Christen aus einem breiten Konfessionsspektrum können auf der Grundlage der grundlegenden, essentiellen Lehren zusammenstehen und sich gegenseitig als authentische Christen anerkennen, während sie gleichzeitig verstehen, dass die Existenz von Meinungsverschiedenheiten zweiter Ordnung die enge Gemeinschaft verhindert, die sie sonst genießen würden.' (aus seinem Artikel 'Call for Theological Triage')
Lehren auf einem dritten Level, sind Lehren 'worüber Evangelikale zu anderen Meinungen kommen mögen und dennoch in enger Gemeinschaft bleiben, sogar innerhalb lokaler Gemeinden.' Dazu gehören solche Dinge wie die Kopftuchstelle (obwohl mir die Brüder hier wahrscheinlich widersprechen würden, was meine Gewichtung dieser Stelle anbelangt).
An der Stelle will nun Rhyne Putman einhaken. Er schlägt drei Tests vor, die uns bei der Unterscheidung in erst-, zweit- und drittrangige Lehren helfen können. Dazu meint er:
Gekoppelt an eine implizite Wertschätzung für die breitere christliche Tradition, die in den Glaubensbekenntnissen der großen ökumenischen Konzile und späteren Konfessionen zum Ausdruck kommt, können diese Tests uns dabei helfen, zwischen den Lehren von größter Bedeutung, den Trennungs-Themen, über die sich einzelne Konfessionen oder theologische Traditionen entzweien, und den Angelegenheiten, über die wir getrost anderer Auffassung sein können zu unterscheiden. (S. 219)
Der hermeneutische Test - Dort wo die Schrift klar ist [3]
Nicht alles in der Schrift ist gleichermassen klar. Ich finde es immer wieder amüsant, wie der Apostel Petrus über die Briefe von Paulus schreiben konnte, dass 'manches in ihnen schwer zu verstehen ist.' (2 Petrus 3,16) Da kann ich wenigstens beruhigt sein, wenn ich für die Stelle mit dem Kopftuch und den langen Haaren (1 Kor. 11) keine klare Auslegung parat habe. Aber manch anderes in der Bibel ist einfach offensichtlich und klar, gerade so wie es da steht (ich nehme den postmodernen Querpass, dass grundsätzlich nichts klar und alles sowieso nur Interpretation ist, für den Zweck dieses Artikels nicht an! Nein, einiges ist klar, selbst für Ungebildete und Kinder). So sagt die Bibel explizit aus, dass es nur einen Gott gibt (Deut 6,4, 1 Kor 8,6). Sie bestätigt glasklar, dass Jesus wegen unseren Sünden und anstelle von uns gestorben ist (Röm 5,8; 1. Petrus 2,24; 1. Johannes 2,2). Sie ist direkt in ihren Aussagen, dass Jesus von einer Jungfrau geboren wurde (Lukas 1,26-38, Matthäus 1,18-25). Sie macht unzweideutig klar, dass gleichgeschlechtliche Liebe von Gott als Sünde verurteilt wird (eine Tatsache, die von vielen liberalen Exegeten bestätigt wird, die sich dann natürlich 'gegen' das biblische Teaching und 'für' eine liberalere Ethik entscheiden). Tatsächlich ist Sex und sexuelle Sünde (porneia) in der Bibel eben gerade keine Nebensache (z. Bsp. 1 Thessalonicher 4,2-5), so dass man sagen könnte, dass es nicht so wahnsinnig darauf ankommt, wie man sich dazu verhält. Nein, sexuelle Reinheit ist integraler Bestandteil der Nachfolge Jesu, nicht 'unter ferner liefen'. (Ich denke, meine progressiven Freunde würden mir in diesem Punkt sogar recht geben. Zumindest zeigt die Fülle an Podcasts und Schriften, dass das Thema für sie nicht nebensächlich ist. Es wirkt vielmehr so, als wäre es sehr dringend, dass man in diesem Punkt seine Meinung als Christ endlich ändert!).
Gewiss müssen wir auch diese 'klaren' Bibelstellen interpretieren, theologisch gewichten und in das grosse Ganze einbetten. Trotzdem fällt es uns manchmal schwer zuzugeben, dass gewisse biblische Lehren klar offenbart sind. Noch einmal, nicht alles in der Bibel ist gleichermassen klar. Bei manchen Stellen oder Themen beissen wir uns die Zähne aus und sind am Ende trotzdem immer noch unsicher, was gemeint ist. Gleichzeitig dürfen wir aber auch sehen, dass die Bibel in ihren Hauptaussagen nicht so kryptisch ist, dass man sie nur mit irgendeinem hermeneutischen Trick der modernen Bibelwissenschaften entschlüsseln könnte. Es ist also möglich, bereits 'von Kind an mit den heiligen Schriften vertraut zu sein und aus ihnen alle Wegweisung zu bekommen, die zur Rettung nötig ist.' (2 Tim 3,15) [4]
Der Evangeliums-Test - Dort wo es um das Fleisch am Knochen geht
Der zweite Test, der eng mit dem ersten zusammenhängt, nenne ich „Evangeliums-Test“. Wir bestimmen Angelegenheiten von primärer lehrmässiger Bedeutung in Bezug auf das Evangelium selbst. Was ist das Evangelium von Jesus Christus? Was muss ein Mensch glauben, um Christ zu werden? (Putman, S. 225)
Hier wird es nun etwas trickier. Wen man schon in Bezug auf was in der Schrift klar ist zu unterschiedlichen Gewichtungen kommen kann, ist es noch schwieriger zu definieren, ob etwas ein 'Evangeliums-Thema' ist, direkt mit dem Evangelium verknüpft ist, oder nur marginal oder indirekt mit dem Evangelium von Jesus Christus zu tun hat. Putman bringt es auf den Punkt:
Das Evangelium kann jeden Bereich des Lebens beeinflussen, aber nicht jeder Bereich des Lebens ist das Evangelium. Während es viele wichtige theologische Punkte gibt, die organisch mit dem Evangelium verbunden sind, ist "Gospel-Issue“ keine nützliche Kategorie mehr, wenn damit jede biblische Wahrheit oder jede mögliche Implikation beschrieben wird. (S. 226) [5]
Stellt sich also zuerst die Frage, was das Evangelium ist und was es nicht ist. Ganz klar, dass ich euch diese Frage hier nicht beantworte (für ein paar Gedanken dazu siehe hier). Für Paulus war die Sache klar, wer ein anderes Evangelium wie er verkündete, bewegte sich ausserhalb des christlichen Rahmens. Das Evangelium ist DIE Botschaft der Bibel. Gewiss hat sie viele Nuancen und Schattierungen. Aber sie ist auch greifbar. Wie sonst könnten wir überhaupt glauben? Paulus formulierte es so (Römer 10,14): 'Den Herrn anrufen kann man nur, wenn man an ihn glaubt. An ihn glauben kann man nur, wenn man von ihm gehört hat. Von ihm hören kann man nur, wenn jemand da ist, der die Botschaft von ihm verkündet.' Die Bibel ist eindeutig der Meinung, dass sie das Evangelium des Glaubens, das unantastbare Gut, ein und für allemal überliefert (Judas 3,1). Es gehört zur Aufgabe jeder Generation, diese Botschaft zu bewahren und für ihre Zeit zu artikulieren.
Als zweite Aufgabe gilt es herauszufiltern, ob eine bestimmte theologische Ansicht nun direkt oder eher indirekt mit dem Evangelium zusammenhängt, ob eine Ansicht Teil der guten Nachricht ist, oder als eine Auswirkung dieser Botschaft gesehen werden muss. 'Jesus starb für deine Sünden' ist unbedingt Teil der Botschaft. 'Kehrt um und glaubt an Jesus' ist es auch. Die Lehre der Dreieinigkeit Gottes oder die Lehre der Göttlichkeit und Menschlichkeit Jesu (die sogenannte hypostatische Union) sind eng mit dem Evangelium verwoben. Es bräuchte weitere Blogs um zu demonstrieren, wie solche Lehren mit dem Evangelium zusammengehen. Vielleicht genügt es hier en passant zu erwähnen, dass die Kirche die christologischen Sichten der Mormomen oder der Zeugen Jehovas aus gutem Grund abgelehnt hat. Auch die liberale Version eines Jesus, der nur vorbildlicher Mensch aber nicht gleichzeitig Gott gewesen ist, klickt mit dem biblischen Evangelium mehr schlecht denn recht: Nur Gott selbst kann uns erlösen! Kein Mensch, so vorbildlich wie auch immer, könnte dies tun. So die biblische Logik.
Bleiben noch die vielen Dinge, die indirekt mit dem Evangelium verbunden sind, oder als Auswirkungen des Evangeliums gelten dürfen. Ein geheiligtes Leben der Nachfolge ist eine Auswirkung des Evangeliums. Soziale Gerechtigkeit ist eine Auswirkung der guten Nachricht. Das Endgericht Gottes gehört implizit dazu. Die Auferstehung von den Toten, das ewige Leben in der neuen Schöpfung und vieles mehr. Sogar, dass Adam und Eva die ersten Menschen waren, gehört implizit zur Struktur des Evangeliums dazu (und wer jetzt skeptisch die Stirn runzelt, der möge hier weiterlesen).
Zum Schluss wären da noch all die Themen, die mit dem Evangelium assoziiert werden, aber worüber man zu unterschiedlichen Schlüssen kommen kann, ohne dass gerade die ganze Botschaft kompromittiert wird. Man hat hier vielleicht etwas mehr Spielraum, um an den verschiedenen Reglern in die eine oder andere Richtung zu schräubeln und dies die Musik nicht so stark verfremdet, dass man sie nicht mehr erkennen würde. Sowohl Calvinisten und Arminianer glauben beispielsweise, dass Gott seine Kinder erwählt. Aber wie sich diese Erwählung in Raum und Zeit verwirklicht, sieht man unterschiedlich. [6]
Zusammengefasst fragt dieser Test, ob eine theologische Position im Einklang mit dem Evangelium steht, dieses Evangelium nicht verfremdet oder gar ein anderes Evangelium als das der Bibel verkündet. Das Evangelium zeichnet uns Christen aus, genauso wie die 'Vorstellung des Klassenkampfs' den Marxismus auszeichnet. Wenn ich wider Erwartens Marxist werden wollte, müsste ich mich ja auch innerhalb dieses Paradigmas bewegen, um dem Titel gerecht zu werden. Ich könnte nicht einfach kommen uns sagen: 'Schön und gut was Marx damals gesagt hat. Aber wenn Marx heute relevant sein wollte, dann müssen wir seine Botschaft an wesentlichen Punkten abändern und anpassen.' Genauso wenig können wir das Evangelium anpassen und unseren Bedürfnissen gefügig machen.
Der Praxis-Test - Dort wo es ums praktische Zusammenleben geht
Auf den Praxis-Test will ich nur ganz kurz eingehen. Dieser Test ist eigentlich fast mehr pragmatischer Natur. Er fragt danach, unter welchen Umständen eine Zusammenarbeit bis hin zu einem Zusammenschluss möglich ist. Kann ich als Calvinist mit Arminianern zusammenspannen? Gewiss, auch wenn ich finde, dass den Arminianern etwas entgeht (siehe Fussnote 6). Auf der anderen Seite sind solche Dinge wie die Tauffrage doch recht markant und betreffen die praktische Organisation einer Kirche. Generell gesagt geht es beim Praxis-Test nicht um erstrangige Lehren, die das Evangelium verfremden würden. Es geht um zweitrangige Lehren, die aber doch so wichtig sind, dass man als Kirche und Gemeindeverbände unter Umständen getrennte Wege gehen muss.
Schluss
Doctrine can also unite us. A common theological framework can bind people together from every race, every socioeconomic background, every culture, and every political party. The doctrine that unites such a diverse global community is the gospel of Jesus Christ. (Putman, S. 228)
Wäre es nicht friedlicher, wir würden gar keine theologischen Gewichtungen vornehmen und jedes Pflänzchen, das da noch so auf dem christlichen Boden sprossen mag, so gut es geht bewässern? Nein, gerade um der Einheit der Kirche willen. Denn wo Beliebigkeit herrscht, wird Einheit im Evangelium verunmöglicht. Darum ringen wir gerade heute im evangelikalen Umfeld stark darum, wo und wie wir die Grenzen ziehen sollen.
Und sind wir uns bewusst. Jeder und jede nimmt Gewichtungen vor, ob unbewusst oder bewusst. Auch die progressiven Evangelikalen betonen bestimmte Dinge und andere nicht (siehe dazu diesen Beitrag). Die Frage ist, ob unsere theologischen Gewichtungen mit dem historischen Glauben der Kirche und vor allem mit der Bibel in Einklang stehen. In der ganzen Frage geht es nie darum, ob jetzt wieder eine Gruppe ihre Machtansprüche zementieren möchte, in dem sie vorschreibt, was 'christlich' ist und was ausserhalb. Nein, wir messen uns an der Bibel (die wir so gut es geht zu verstehen trachten), egal ob wir konservativ oder progressiv sind. Denn am Ende hat sowieso nur Gottes Wort Bestand.
Zwei weitere Artikel, die sich mit dem Thema 'Einheit unter Evangelikalen' beschäftigen, findest du hier und hier.
[1] Ein Knackpunkt wäre hier die Rechtfertigungslehre, die von der katholischen Kirche so nicht bejaht wird. Diese essentiellen Unterschiede in der Soteriologie erschweren denn auch eine Einheit zwischen Portestanten und Katholiken - bis heute.
[2] Siehe dazu auch Ortlund's Buch: Finding the right Hills to Die on: A Case for Theological Triage
[3] Alle biblischen Beispiele sind aus Putman.
[4] Es geht hier um die Klarheit der Schrift (und nicht kontra Bibelwissenschaften, die uns manchmal helfen können, die Bibel besser zu verstehen).
[5] Siehe den wichtigen Artikel von D. A. Carson: What is a Gospel Issue?
[6] Meines Erachtens erfasst der Calvinismus die 'biblische Logik der Gnade' viel besser und biblischer als die arminianistische Seite. Aber eben ...
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