Zur Freiheit hat uns Christus befreit.
(Galater 5,1)
Die einzige Freiheit, die diesen Namen verdient, besteht darin, unser eigenes Wohl auf unsere eigene Art zu suchen, solange wir dabei nicht die Absicht hegen, andere ihrer Freiheit zu berauben oder ihre dahin zielenden Anstrengungen zu durchkreuzen.
(John Stuart Mill)
Wir leben in einer Welt mit unglaublichen Möglichkeiten, sprich Wahlmöglichkeiten. Das berühmte Beispiel, das hier häufig eingebracht wird, ist das volle Regal im Supermarkt. Man steht davor und hat machmal nicht nur die Wahl, sondern auch die Qual derselben. Welches Joghurt wähle ich, welche Zahnpasta ist für mich geeignet? Kommt es wirklich so darauf an? Mehr Gewicht haben Entscheidungen wie unsere Berufswahl. Wenn der Sohn früher fast gezwungenermassen den Beruf des Vater erlernte und dann, wenn er Schuster war, auch ein Leben lang bei seinen Leisten bleiben sollte, stehen uns heute so viel mehr Türen offen: Gehe ich an die Uni oder mache ich eine Lehre? Und wenn ich mal einen Beruf erlernt habe, kann ich gut nach fünf oder zehn Jahren wieder wechseln. Sind wir freier, weil wir mehr Möglichkeiten haben und uns individueller verwirklichen können als früher?
Negative oder positive Freiheit - was soll's denn sein?
Irgendwer (war es Isaiah Berlin?) hat einmal das Konzept von zwei Freiheitsbegriffen ins Spiel gebracht - der negativen und der positiven Freiheit. Mit negativer Freiheit impliziert man, dass ein Mensch möglichst frei von äusseren Einschränkungen oder Eingriffen sein Leben selbstbestimmt gestalten kann. Dieser Typus von Freiheit passt gut zu John Stuart Mill's Utilitarismus und seiner Hoffnung, dass individuelle Freiheit, solange sie niemand anderen einschränkt, letztlich zum Wohl der ganzen Gesellschaft beitragen wird. Wenn jeder für sich selbst schaut und dabei nur wenige Einschränkungen von aussen auferlegt bekommt, wird dies zu einer gesunden und prosperierenden Gesellschaft für alle führen, so der Gedanke.
Mit positiver Freiheit dagegen meint man die Freiheit, die Bedingungen zu schaffen, die es einem ermöglichen, seine Ziele und Wünsche zu realisieren. Dabei legt man sich selber Beschränkungen auf. Der Spitzensportler nimmt einen rigiden Zeitplan mit reguliertem Schlaf, täglichem Höchstleistungstraining und der nötigen Diät in Kauf. Der Musiker verzichtet auf Fussball und Bingewatching und schränkt sich so ein, um fit auf seinem Instrument bleiben zu können. Man verzichtet einerseits auf vieles (man schränkt sich eben ein), wird aber dadurch frei darin etwas zu tun, was nur möglich wird, wenn man sich gezielt investiert: Höchstleistungssport zu treiben oder über die Tasten eines Klaviers zu fetzen. Positive Freiheit gilt aber nicht nur für Sportler und Musiker, sondern beschreibt ein allgemeines Klima der Freiheit, das es dem Menschen ermöglicht, sich aktiv für die Gestaltung seines Lebens einzusetzen.
Vielleicht könnte man die beiden Freiheitsbegriffe so kurzfassen: Negative Freiheit heisst frei von ... zu sein, während positive Freiheit impliziert, frei für ... zu sein.
Unsere westliche Gesellschaft ist stark vom Konzept der negativen Freiheit geprägt. Es ist das Narrativ der Befreiung, des Abwerfens von alten Ketten (seien es Tradition oder Religion), der Revolution des Proletariats, des Aufstands einer unterdrückten Gruppe, die sich Gehör verschafft. Und wir haben es geschafft (und das meine ich nicht ironisch): Wir sind heute freier denn je, was negative Freiheit in unserer Gesellschaft anbelangt. Wir leben in einer Zeit, in der jede und jeder von uns enorm viel Gestaltungsfreiraum hat, weil wir nur wenig äussere Einschränkungen erleben. Das ist auf jeden Fall nicht für alle Menschen auf der Welt so. Ich bin also durchaus ein Verfechter von negativer Freiheit. Ich würde sogar behaupten, dass unsere heutige Freiheit von ... zu einem guten Teil eine Pflanze ist, die auf dem Nährboden der jüdisch-christlichen Religion gewachsen ist. [1]
Natürlich verstehen wir negative Freiheit vor allem individualistisch: Jede und jeder soll frei sein so zu leben, wie sie und er will, mit der einzigen 'Einschränkung', dass niemand anders durch diese Freiheitsbemühungen eingeschränkt wird. Diese Art von Freiheit hört jedoch spätestens dann auf, wenn ich mich (freiwillig) für eine bestimmte Form von Gemeinschaft wie der Ehe, oder noch krasser der Familie verpflichte. Denn gerade diese Verpflichtungen schränken ja enorm ein. Man könnte jetzt darüber diskutieren, dass man diese Einschränkungen ja gewollt auf sich nimmt, um die Freiheit zu geniessen, in einer festen Beziehung zu leben oder eine Familie zu gründen. Vielleicht macht es Sinn davon zu sprechen, dass man hier negative Freiheit aufgibt, um positive Freiheit zu erlangen?
Diese Beispiele weisen jedenfalls auf eine inhärente Spannung hin, die sich auch auf der gesellschaftlichen Ebene manifestieren kann: Was ist, wenn die Freiheit des Einzelnen dann doch nicht zum Wohl der Gemeinschaft beiträgt? Das Ganze hat eine politische Note: Wie stark soll der Staat die Freiheit des Einzelnen 'einschränken', damit das Gesamtwohl gewährleistet werden kann? Sollen die Reichen mehr Steuern zahlen? Braucht es Sozialabgaben und kann der Staat verlangen, dass wir Klimageld bezahlen für das Wohl der Schöpfung? In der politischen Philosophie treffen hier zwei Traditionen aufeinander, die libertarische und die sozialistische Tradition. Beide betonen essentielle Aspekte, die zu einem gelingenden und befreiten Menschsein dazugehören. Richard Bauckham formuliert in Bezug auf die libertarische Tradition:
Indem [die libertarische Tradition] sich auf das Recht des Einzelnen auf freie Wahl fokussiert, hebt sie etwas Wesentliches hervor, was menschliche Freiheit angeht. Denn echte Erfüllung kann der Mensch nur durch seine eigene freie Entscheidung, nur als selbstbestimmendes Wesen finden. Indem man auf diesem Punkt beharrt, hat die libertaristische Tradition wichtige individuelle Rechte wie Meinungsfreiheit, oder die Vereinigungsfreiheit und Religionsfreiheit gesichert und vor totalitärer Tyrannei geschützt, so dass der einzelne Mensch nicht in der Gefahr steht, für das Wohl der Gemeinschaft geopfert zu werden. (aus God and the Crisis of Freedom, S. 29, meine Übersetzung)
Gerade in unserem pluralistischen Kontext sind wir doch froh, dass solche Rechte wie die Religionsfreiheit zu den Grundlagen unserer demokratischen Gesellschaft gehören. Doch hat die libertarische Spielart auch ihre Grenzen und ein grosses Manko: "Sie hat keinen Vorstellung vom Gemeinwohl und definiert die Freiheit des Einzelnen so, dass sie keinen notwendigen Bezug zum Gemeinwohl hat." (Bauckham, S. 29-30) Es scheint, als liese sich diese Spannung einfach nicht auflösen - die Spannung zwischen der Freiheit des Einzelnen und dem Wohl der Gemeinschaft. Natürlich verfolgt die sozialistische Variante hier eine andere Strategie. Ich bin überzeugt, dass eine Mischung aus beiden irgendwie die beste politisch-gesellschaftliche Lösung für den Moment darstellt. [2]
Kann es zu viel negative Freiheit geben?
Wie ich am Anfang dieses Artikels beschrieben habe, leben wir heute im Überfluss der Möglichkeiten, oder im Dschungel der Optionen. Natürlich mag dieser Optionsüberfluss manche überfordern und verunsichern (siehe dazu u. a. Barry Schwartz: The Paradox of Choice - More is Less). Vielleicht war es früher tatsächlich leichter, weil man nicht alles und alles immer wieder neu entscheiden musste? Vielleicht leiden die einen hier mehr und die anderen geniessen ihre Freiheit? Auf jeden Fall können wir hier das Rad der Zeit nicht zurückdrehen. Wir leben heute und dürfen lernen was es heisst, heute weise zu leben.
Auch profitieren nicht alle gleichermassen von unserer individualistischen Freiheit. Um ein krasses Beispiel zu nennen: Frauen sind heute frei (!), sich für oder gegen den Fetus in ihrer Gebärmutter zu entscheiden. Das kleine Wesen dagegen ist höchst unfrei und der freien Entscheidung seiner Mutter total ausgeliefert. Wir sind frei zu wählen (insofern es unser Budget zulässt), ob wir Adidas oder Nike oder Schuhe bei Caritas kaufen. Auf der anderen Seite der Konsumkette sind aber vielleicht jene Menschen nicht ganz so frei, weil sie hart arbeiten müssen, damit wir im Westen eine free consumer choice haben (und darum besser bei Caritas reinschauen?). Wie konkret unsere Freiheitsbemühungen auf Kosten anderer laufen, wird je nach Perspektive unterschiedlich beantwortet.
Was mich hier fast mehr beschäftigt ist der Punkt, dass wir mit negativer Freiheit häufig autonome Freiheit assoziieren: Ich bin nur dann frei, wenn ich losgelöst von äusseren Einflüssen (negativ formuliert frei von Ein- oder Beschränkungen) entscheiden kann. Auf einer politischen Ebene würde ich diesem Grundsatz zustimmen: Der Staat soll dafür sorgen, dass ich mich so frei wie möglich entfalten kann, eben solange niemand anders dabei zu Schaden kommt. Doch wie sieht das auf einer persönlich-biografischen Ebene aus? Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass auch wenn ich heute nicht unbedingt den Job meines Vaters übernehme, doch wesentlich durch meinen Vater und meine Familie geprägt bin (sei es genetisch oder biografisch). Weiter bin ich in eine Kultur eingebettet, die mir suggeriert, dass es cool ist, Adidasschuhe (oder je nach Subkultur vielleicht eher Secondhandschuhe von Caritas?) zu tragen. Ich arbeite mit Handy und Computer, habe mich aber selber nie aktiv dazu entschieden, diese Werkzeuge zu nutzen. Bin ich also frei, wenn so lebe wie alle anderen? Was ich damit zum Ausdruck bringen möchte: Wir alle leben nicht unabhängig von unserer Umwelt, wie in einer isolierten Autonomiezelle - und das wirkt sich irgendwie auch auf unsere Freiheit aus. Wir sind frei in dem Rahmen, der uns gesetzt ist - in einem Rahmen, den wir nicht einfach überschreiten, nur vielleicht etwas ausdehnen können. Natürlich bin ich auf eine Art und Weise frei, meinen Beruf oder meine Partnerin zu wählen (womit ich mehr negative Freiheit geniesse als so viele Menschen aus anderen Kulturen und Zeitepochen). Doch was in meine freie Wahl immer mit hineinspielt, ist meine Biografie, meine Persönlichkeit, meine Gaben, Interessen usw. Freiheit ist nie autonom im Sinne von radikal unabhängig. Richard Bauckham sieht genau an diesem Punkt eine Gefahr, wie wir Freiheit heute manchmal verstehen, nämlich so wie Disney es uns suggeriert: Du bist frei aus dir zu machen, was auch immer du willst!:
Freiheit wird als radikale Unabhängigkeit verstanden. Nichts wird empfangen, alles muss frei gewählt werden. Freiheit ist die Freiheit, aus sich selbst das zu machen, was man will. Der Mensch strebt danach ... sein eigener Schöpfer zu sein. (S. 32)
Bauckham erwähnt in diesem Zusammenhang einen weiteren wichtigen Punkt: Freiheit ist etwas, das uns geschenkt wird.
Alles, was wir sind und haben, ist uns gegeben ... Es ist wahr, dass wir begrenzte Freiheit haben, das zu werden, was wir wählen. Das heisst aber eigentlich, etwas aus dem zu machen, was uns zuerst gegeben ist. Es ist eine Freiheit, die vollständig von der Gabe abhängt. (S. 39, meine Übersetzung)
Freiheit ist ein Geschenk Gottes, das wir verwirklichen dürfen und verwirklichen sollen! Wir tun gut daran, wenn wir die uns geschenkte Freiheit als Geschenk begreifen und dabei dem Geber Rechenschaft ablegen. Freiheit kann missbraucht werden - im Besten Fall aber wird sie positiv umgesetzt, immer dann wenn der Beschenkte etwas aus seinen Talenten zur Ehre Gottes und zum Wohl seiner Mitmenschen macht.
Um dem Ganzen noch einen biblischen Twist zu verleihen: Die total autonome Freiheit gibt es nicht, weil wir immer schon jemandem oder etwas dienen. Jemandem oder etwas, das unsere ganze Aufmerksamkeit, unsere ganze Leidenschaft und unser ganzes Herz einnimmt. Jesus sagte einmal: "Niemand kann zwei Herren dienen!" (Matthäus 6,24) Das impliziert aber doch, dass man immer schon einem der beiden Herren dient. Man müsste es vielleicht so sagen: Wir leben nie auf neutralem Terrain. Entweder werden wir von Gottes Geist und seiner Wahrheit bestimmt, oder wir werden von unseren sündigen Wünschen bewegt und geleitet. Eure eigensüchtigen Wünsche führen einen regelrechten Krieg gegen das, was Gott von euch möchte! (Jak 4,1) Ich rede hier von einer Dynamik, die sich auf einer tiefliegenden, intrinsischen Ebene abspielt. Vordergründig gesehen sind wir natürlich frei, neutral zu entscheiden, welchen Pullover wir heute anziehen oder ob wir unsere Mittagspause um 12.00 oder um 13.00 machen. Doch was unsere Ambitionen, unsere Motivation, unsere tiefsten Wünsche und Sehnsüchte angeht, all den Gründen, warum wir am Morgen überhaupt aus dem Bett kriechen, haben wir es mit Herrendienst, oder besser mit Gottesdienst zu tun. Entweder wir dienen dem einen Gott oder wir dienen einem Ersatzgott. Unser innerer Antrieb, unsere Motivation, unser Lebenshunger sind nicht autonom. Wir sind teleologische Wesen: Wir verfolgen immer ein Ziel. Wir sind Wesen, die für etwas oder jemanden leben.
Negative und positive Freiheit in der Bibel? - Befreit um sich zu verschenken
Inwiefern können wir in Bezug auf die Bibel von negativer und positiver Freiheit reden? Die Episode des Exodus hat uns gezeigt, dass Gott das Volk Israel von der Sklaverei für die Gemeinschaft mit und den Dienst für Gott befreit hat und nicht zu einem autonomen Dasein in der Wüste.
Ich will bei euch leben und euer Gott sein, und ihr sollt mein Volk sein. Ich bin der HERR, euer Gott. Ich habe euch aus Ägypten geführt. Dort seid ihr Sklaven gewesen, doch ich habe das Joch eurer Sklaverei zerbrochen, damit ihr wieder frei und aufrecht gehen könnt. (3 Mose 26,12-13)
Freiheit ist kein abstraktes Konzept (entweder bin ich frei oder ich bin nicht frei). Vielmehr ist man biblisch gesehen frei von etwas oder jemandem für etwas oder jemand anderen. Anders gesagt, negative und positive Freiheit blenden ineinander über. Beim Exodus war es die konkret-gesellschaftlich-irdische Unfreiheit, dem Pharao dienen zu müssen und die Befreiung, nun Gott dienen und eine Gesellschaft bilden zu dürfen, die nach seinen Gesetzen reguliert wird. Das Neue Testament verlagert diese Dynamik auf eine geistlich-innerliche Ebene (die sich aber in der Folge immer nach aussen auswirkt). Wir sehen dies bei Paulus schön illustriert:
Wenn ihr euch jemand unterstellt und bereit seid, ihm zu gehorchen, seid ihr damit seine Sklaven; ihr seid die Sklaven dessen, dem ihr gehorcht. Entweder ihr wählt die Sünde und damit den Tod, oder ihr wählt den Gehorsam Gott gegenüber und damit die Gerechtigkeit. Aber Dank sei Gott, dass die Zeit vorbei ist, in der ihr Sklaven der Sünde wart, und dass ihr jetzt aus innerster Überzeugung der Lehre gehorcht, die uns als Maßstab für unser Leben gegeben ist und auf die ihr verpflichtet worden seid. Ihr seid von der Herrschaft der Sünde befreit worden und habt euch in den Dienst der Gerechtigkeit stellen lassen. (Röm 6,16-18)
Irgendeinem Herren dienen wir sowieso, sei es der Sünde oder Gott - etwas dazwischen (den neutralen Grund und Boden) gibt es nicht. Die gute Nachricht lautet, dass wir nun nicht länger an die Sünde versklavt sind (auch wenn wir sie manchmal dennoch wählen). Wir sind von der Macht der Sünde zu einem Leben vor Gott und unter seiner Herrschaft befreit! Damit das nicht zu abstrakt bleibt, dieses Beispiel: Was, wenn wir anstelle von Gott dem Mammon (dem Geld, dem anderen der zwei Herren bei Jesus) dienen? Macht uns das frei? Nein, denn wir werden zu Dagobert Duck ähnlichen Charakteren mutieren, denen Geld wichtiger ist als die Mitmenschen. Und wir werden in ständiger Angst davor leben, dass uns das Geld zwischen den Fingern zerrinnt oder aus den Taschen geklaut wird. Wenn uns aber Jesus befreit, dann werden wir nicht mehr so sehr am Geld hängen und darüber besorgt sein, sondern wir werden in eine Richtung transformiert werden, in der wir frei werden, Gott ganz zu vertrauen und andere Menschen an unserem Überfluss teilhaben zu lassen.
Was heisst das anderes, als dass Gott uns in allen Bereichen, in denen wir vorher von der Sünde bestimmt wurden, zu einem Leben befreit, dass von Gerechtigkeit und Güte geprägt sein darf? Oder wie Augustinus es einst gesagt hat: "Die [christliche] Freiheit ist das, was wir haben, um das Gute zu wählen.“ (aus De libero arbitrio) In anderen Worten, das Evangelium befreit uns zum wahren Menschsein, so wie Gott sich das für uns denkt! Und dieses Menschsein ist durch und durch Christus-ähnlich: Wir leben nun nicht mehr 'nur' für uns und schauen dabei, dass unser Freiraum möglichst unangetastet bleibt. Wir verschenken uns an andere, so wie Jesus Christus sich für uns verschenkt hat. Wir haben nun eine Freiheit, das Gute und das Wohl des anderen zu wählen. Oder wie Paulus es so fein gesagt hat:
Geschwister, ihr seid zur Freiheit berufen! Doch gebraucht eure Freiheit nicht als Vorwand, um die Wünsche eurer selbstsüchtigen Natur zu befriedigen, sondern dient einander in Liebe. (Galater 5,13)
Christliche Freiheit besteht darin, frei zu sein, seine Mitmenschen (und natürlich Gott!) ganz zu lieben. Diese Art von Freiheit steht irgendwie quer zu unserer modernen Vorstellung von Freiheit als der grenzenloser Freiheit von allem, was mich einschränken würde. Es lohnt sich dazu Richard Bauckham länger zu zitieren:
Wenn meine Freiheit darin besteht, alle Grenzen dessen, was ich tun und haben darf, aufzuheben, dann müssen andere Menschen zwangsläufig als Grenzen meiner Freiheit erscheinen ... Ihr einziger positiver Beitrag zu meiner Freiheit wird sein, dass ich sie beherrschen oder ausbeuten kann, so dass sie meinen Interessen dienen ... Ganz anders sieht die Sache aus, wenn wir Freiheit als in Beziehungen gegeben und ausgeübt verstehen. Andere Menschen schränken meine Freiheit nicht ein, sondern ermöglichen sie geradezu. (S. 45)
Vielleicht fragen sich manche, ob wir uns mit diesem Konzept von christlicher Freiheit nicht wieder in ein neues Gefängnis einzwängen - das Gefängnis des Willen Gottes. Beschneidet Gott nicht meine Freiheit, wenn er mir vorschreibt, wie ich leben und was ich zu tun habe? Ist nicht sein Gesetz einengend, wenn es darum geht, mich selbst zu entfalten? Zunächst einmal muss gesagt sein, dass Gott uns nicht in identische Klone verwandeln will. Christliche Freiheit ermöglicht immer noch ein breites Spektrum von Selbstbestimmung, wo ich mich meiner Persönlichkeit und meinen Wünschen gemäss entwickeln kann. Anders gesagt, christliche Freiheit wahrt Individualität - sie zerstört sie nicht! Auf der anderen Seite befreit uns Christus eben zu einem Leben fern von Sünde. Aber wenn Sünde all das beinhaltet, was gegen Gottes gute Gedanken steht, können wir nur gewinnen. Natürlich kann Sünde sich manchmal sehr befreiend anfühlen. Wie sonst wäre sie attraktiv. Auf lange Sicht jedoch wird sie uns knechten und zerstören. Wenn wir aber Gott als den Schöpfer und Geber von allen guten Gaben befreifen, dürfen wir auch sein Gesetz als gut anerkennen. Denn, wie Bauchkam es formuliert, ist Gottes Wille ...
... nicht einfach der Wille eines anderen in einem gewöhnlichen Sinn, sondern die moralische Wahrheit aller Realität. Sich dieser Wahrheit anzupassen bedeutet auch, sich an das innere Gesetz unseres eigenen geschaffenen Wesens anzupassen. (God and the Crisis of Freedom, S. 46 - meine Übersetzung)
Gott zu gehorchen bedeutet tiefstmöglichste Kongruenz: So zu leben, wie Gott sich das gedacht hat, heisst, mit der Maserung unseres Seins und nicht gegen sie zu arbeiten. Zu dieser Maserung gehört, dass wir dazu geschaffen sind, für Gott und für andere zu leben. Christliche Freiheit meint, dass Jesus uns von einer sündigen Ego-Zentriertheit zu einem Leben befreit, das sich gerne an andere, selbst an seine Feinde verschenkt.
Frei sein wie Jesus - diese Hoffnung ist in mir!
Jesus hat uns dies vorgemacht. Er, der als der Sohn Gottes freier als wir alle war, war sich trotzdem nicht zu schade, sich ganz dem Willen seines Vaters unterzuordnen. Und in seiner Beziehung zu anderen Menschen drückte Jesus seine Freiheit dadurch aus, dass er (natürlich freiwillig!) zum Diener seiner Mitmenschen wurde (Lk 22,27). Wie ein Sklave übernahm er Sklavenarbeit und wusch seinen Jüngern die Füsse. Das tat er nicht, weil er nicht wollte, dass der Boden schmutzig würde. Seine Handlung sollte versinnbildlichen, dass er - der Herr des Universums - als der Grösste dem Kleinsten dient.
In dieser Tat tat Jesus, was kein anderer in seiner Position getan hätte, etwas, zu dem sich alle anderen durch etablierte Werte und gesellschaftliche Konventionen gezwungen gefühlt hätten, es nicht zu tun. (S. 20)
Jesus war durch und durch frei, sich ganz für seine Mitmenschen hinzugeben und er etablierte dadurch ein Pattern für uns. Hier beobachten wir wahres Menschsein in Aktion. Hier geht uns ein Licht auf, was christliche Freiheit bedeutet. Nicht ein schrankenloses Streben nach immer noch mehr für mich selbst, sondern ein mich Hingeben für Gott und ein mich Verschenken für meinen Nächsten.
[1] Lies dazu meinen letzten Beitrag, in dem ich besprochen habe, wie der Edoxus, der Auszug des Volkes aus Ägypten auch heute noch als dominantes Narrativ fungiert.
[2] In meinem letzten Beitrag habe ich gezeigt, dass das AT fast sozialistisch organisiert vorgeht, was die Gesellschaftsordnung des Volkes Israel angeht: Es geht dabei u. a. um eine Umverteilung der Güter, um gleiche Chancen für jede und jeden. Dabei müssen wir aber schon sehen, dass wir es im Alten Testament mit einer theokratischen Gesellschaftsform zu tun haben: Gott regelt und bestimmt das Zusammenleben seines Volkes. Das lässt sich nicht einfach eins zu eins auf unsere gesellschaftspolitische Situation von heute übertragen. Viel eher finden wir im Neuen Testament, dass sich diese göttliche Gesellschaft in der Kirche realisiert, dem Gottesvolk des Neuen Bundes. Die Kirche bildet inmitten dieser Welt eine gesellschaftliche Ordnung eigener Art ab - eine Gemeinschaft, die ganz unter der Herrschaft Gottes lebt (respektive leben sollte). Ich hoffe diese Gedanken in einem nächsten Blogartikel vertiefen zu können.
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