I'm a poor lonesome cowboy, but it doesn't bother me. For this poor lonesome cowboy prefers a horse for company. Got nothing against women, but I wave them all goodbye. My horse and me keep riding; We don't like being tied.
(Lucky Luke)
In diesem Artikel möchte ich gerne zeigen, warum es für uns Christen in Europa (weiss, maskulin, evangelikal) nicht ganz unwichtig ist, Bücher wie Kristin Kobes Du Mez' Jesus and John Wayne zu lesen und zu verdauen. Meine Rezension wird in zwei Richtungen gehen. Zunächst müssen hinhören, wirken lassen, verdauen, auch wenn's weh tut. Die evangelikale Bewegung im Westen und vor allem in Amerika steckt in einer Krise. Du Mez offenbart schonungslos, Beispiel um Beispiel wie evangelikale Männer zum Teil kolossal versagt haben. Das Buch wird langsam auch bei uns aufgegriffen, obwohl es noch nicht auf Deutsch erhältlich ist (siehe z. B. bei Thorsten Dietz). Grund genug, um hinzuschauen und zu lernen. Im zweiten Teil möchte ich Du Mez' Analyse 'des evangelikalen Problems' kritisch bewerten.
Cowboys oder Christen? Haben Evangelikale ein Gaucho-Macho-Gen?
Amerika ist als Land der Cowboys wohlbekannt. Der archetypische Cowboy des Wilden Westens ist ein Mann, der für sich selbst (ein)steht und seine Freiheit mit männlicher Muskelkraft und Waffengewalt verteidigt. Er ist patriotisch. Und Frauen sind für ihn mehr Anhängsel denn ernstzunehmende Gefährtinnen auf gleicher Augenhöhe. Keiner steht so für diesen Mythos wie John Wayne. Seine Verkörperung des Cowboys habe das Mann-Sein in Amerika tief geprägt, meint du Du Mez. Ja, diese Identifikation gehe so tief, dass Amerika mit Trump gar einen 'politischen Cowboy' ins Amt des Präsidenten gewählt habe, unterstützt durch die Wahlkraft der Evangelikalen.
Damit ist der Link zum Thema gegeben: Was haben John Wayne und der amerikanisch-weisse Jesus gemeinsam? Eben dass dieses kulturell propagierte Bild des Cowboys sehr viel mehr auf die amerikanisch-evangelikale Bewegung abgefärbt habe als wir es gerne wahrhaben wollen. Du Mez argumentiert, dass die konservativ-evangelikalen Christen in Amerika mindestens genau so stark (vielleicht sogar noch stärker) von solch kulturellen Grundströmungen des Landes geprägt wurden wie von der Bibel:
Die evangelikale Bewegung [des 20. und 21. Jahrhunderts] in Amerika ist nicht das Resultat ihres 'biblischen Literalismus' [also ihres biblischen Verständnisses, das sie prägt] ... sondern eine historische und kulturelle Bewegung, die sich durch das Anliegen geformt hat, den Willen Gottes für ihre Zeit zu erkennen, Ordnung in unsichere Zeiten zu bringen und - für manche - ihre eigene Macht auszuweiten. (Seite 14, meine Übersetzung)
Zu diesen Grundströmungen gehören eine gute Portion an patriotischem Nationalismus, Militarismus, White Supremacy, sowie ein traditionelles (patriarchales) Verständnis der Familie und der Rollenbilder von Frau und Mann. Dieser John Waynismus wirke so stark nach, dass er das (amerikanisch) evangelikale Christsein und vor allem das männliche Heroentum des Evangelikalismus (Du Mez nenn solch illustre Figuren wie Billy Graham, Jerry Falwell, James Dobson bis hin zu John Piper und Mark Driscoll) geradezu definiere.
Der ganz Rest des Buches untermauert diese These mit vielen, zum Teil schrägen, zum Teil schockierenden Beispielen. Ich empfehle euch ein, zwei Kapitel daraus zu lesen, als Schocktherapie. Wie in aller Welt konnte es kommen, dass Männer auf der Kanzel nicht Christus, sondern Nationalismus, Krieg und Machotum predigten? Dass es in christlichen Freizeiten für Männer mehr darum geht, wie man mit Waffen umgeht und Frauen erobert (die ihrerseits dazu ermutigt werden, ihre Rolle am Herd schön einzunehmen), als darum wie man (meinetwegen als Mann) in Christus wachsen kann? Beim Lesen wurde mir aber auch klar, dass Amerika in dieser Hinsicht ein gutes Stück weg von Europa liegt. Bei uns gibt es keine religiöse Rechte, die für die Bewahrung eines christlichen Nationalstaates einsteht. Wir sind keine Weltmacht, die sich durch militärische Stärke profiliert. Und wir sind weniger rampengeil. Zu extreme Charaktere würden es bei uns wahrscheinlich nicht auf die grossen Bühnen schaffen. Man muss zwischen den Zeilen lesen, um die Kritik an sich herankommen zu lassen. Steht John Eldredge's Ungezähmter Mann nicht auch bei uns im Bücherregal? Haben nicht auch wir schon ab und zu Piper gelesen oder waren einmal von Mark Driscoll's feurigen Predigten beeindruckt (ich erinnere mich an eine sehr plastische Auslegung des Hohelied)? Ist John Wayne's kämpferisches Gen vielleicht bis in unsere Vorstellungen des Mann- und des Christseins generell vorgedrungen?
Wie extrem die Beispiele und Figuren mit denen die Du Mez uns konfrontiert auch immer sein mögen, wir sollten uns vergegenwärtigen, dass sie keine Mythologien serviert. Der Golfkrieg sowie die amerikanischen Interventionen im Kalten Krieg waren häufig religiös-christlich motiviert (Kreuzzüge des 20. Jahrhunderts?). Männliche Autorität wurde und wird gerade auch in evangelikalen Zirkeln unter 'Berufung' auf John Wayne, gepaart mit der Bibel, zum Teil grob missbraucht. Bestimmte einseitige Männerbilder kursieren auch bei uns. Donald Trump wurde von vielen Evangelikalen gewählt. Wer in Du Mez' Buch rumblättert und sich als evangelikal bezeichnet, wird das Buch an Stellen beschämt senken müssen. Wie konnte es nur passieren, dass sich John Wayne anstelle von Jesus Christus in den Sattel schwingen konnte in einer Bewegung, die doch eigentlich ganz auf Christus und sein Evangelium fokussiert sein sollte? Haben Evangelikale ohne Witz so gehandelt, so gedacht, so gepredigt? Leider ja, wir sind schuldig im Sinne der Anklage! Wir sollten umkehren, uns hinterfragen, umdenken und neu beginnen. Beispiele:
Wo geben wir einem einzigen männlichen Leiter zu viel Autorität, so dass er sein Königreich ungehindert bauen und sich dabei jeder Kritik gegenüber immun machen kann? Liegt es nicht auf der Hand, dass unsere evangelikale Celebrity-Kultur solche Leader-Macho-Typen geradezu produziert? (Das populärste Beispiel ist wohl Mark Driscoll, Pastor der Megachurch in Seattle, Mars Hill: siehe The Rise and Fall of Mars Hill).
Wo vermischen wir das göttliche Königreich mit unseren politischen Vorstellungen und wollen es durch weltliche Macht und Einfluss herbeiführen?
Wo propagieren wir geschlechtliche Rollenbilder, die nicht auf der Bibel, sondern auf einem relativ modernen, chauvinistischen Männerbild fussen? Wo zeichnen wir ein einseitig 'romantisiertes' Bild vom Mann-Sein, das der Realität vieler Männer gar nicht entspricht (oder bleibt einem als christlicher Mann nichts anderes übrig, als die Flinte zu ergreifen und in der einsamen Wildnis auf Jagd zu gehen? Dann müsste ich meine Flinte ins Korn werfen!).
Trotz all der wahren und traurigen Beispiele bleibt bei mir nach dem Lesen des Buches irgendwie ein ungutes Gefühl zurück. Ist es das gewesen? Sind Evangelikale am Ende so weit weg von der Bibel, lediglich ein Produkt des kulturellen Einflusses? Kann man nichts anderes über sie sagen, als dass sie vor allem existieren, um 'ihre Macht auszuweiten'?
Ist Du Mez' Geschichtsschreibung wirklich fair, lässt sie Differenzierungen zu?
Zunächst einmal fällt auf, dass Du Mez für die Aufbereitung ihres Themas die schlechten Beispiele herauspickt. Nun könnte man argumentieren, dass dies einer validen Methodik entspricht: Wenn sich die schlechten Beispiele häufen beweist das, dass da irgendetwas am faulen ist. Natürlich lassen diese schockierenden Momentaufnahmen auf eine beunruhigende Unordnung im evangelikalen Camp schließen. Handlungsbedarf besteht. Aber ist deswegen die ganze Bewegung patriarchalisch durchseucht? Du Mez räumt ein, dass es auch evangelikale Männer gegeben habe, die ein anders gelagertes Rollenbild verkörperten, sich für Frieden und nicht für Krieg einsetzten und ein 'non-patriarchales' Verständnis von Autorität vertraten (Seite 304). Im Buch werden diese Männer aber sonst nirgends erwähnt. John D. Wilsey, selbst ein Historiker der evangelikalen Bewegung, gibt zu bedenken:
Wir können beobachten, dass Du Mez oftmals die schlimmsten Beispiele der Geschichte der evangelikalen Bewegung auswählt, um den Punkt zu untermauern, dass es diese [Art von Männern] sind, die sich für die Korruption des Christentums und das Auseinanderbrechen der amerikanischen Gesellschaft verantwortlich zu zeichnen haben.
Was mich an der These von Du Mez frappiert ist, dass die geistliche Bewegung, der ich selbst angehöre sich primär durch ein gemeinsames Verständnis einer patriarchalischen Vormachtstellung des Mannes gebildet und ausgebreitet haben soll. Wie sie selbst sagt: 'Eine militante, maskuline Identität nahm im Herzen der evangelikalen Identität Platz.' (S. 295) Bis jetzt dachte ich immer, dass evangelikal sein etwas mit dem Evangelium, einer Liebe zur Bibel, sozialer Aktion oder Evangelisation zu tun hat. Lag ich so daneben?
Was geschieht, wenn plötzlich alles patriarchal überschattet wird? Ich behaupte, dass die Schablone, mit der Du Mez die Evangelikalen liest, wenig Differenzierung zulässt. Es ist eine Schablone, die vorbestimmt was am Ende rauskommt. Folgende Beobachtungen sollen dies verdeutlichen. Du Mez bespricht die Formierung des sogenannten Council for Biblical Manhood and Womanhood (CBMW) als 'einen Versuch, das Patriarchat auf der Grundlage der Bibel zu verteidigen'. (S. 166) Sie nimmt Bezug auf das Danvers Statement (eines Grundlagenpapiers, das die Hauptgedanken des CBMW zusammenfasst): '[Dieses Papier] diktierte, dass die Leitung des Mannes [in der Ehe, gemäss Epheser 5] demütig und liebend anstatt dominierend sein solle. Und es hielt fest, dass "Männer von einer harten und eigennützigen Führung in der Ehe absehen und ihre Frauen lieben und für sie sorgen sollen"'. (S. 167) Obwohl eine dienende, fürsorgliche 'Autorität' sicher besser ist als der chauvinistische Habitus eines John Wayne im Umgang mit Frauen, das Problem für Du Mez ist hier das Paar 'Führung - Unterordnung' (gemäss der Auslegung des CBMW der Epheser-5-Stelle). Natürlich kann man heute, in unserer modernen Welt, die nur noch wenige oder keine Unterschiede mehr zwischen Mann und Frau sieht, über diese und ähnliche paulinische Stellen denken was man will. Aber dass hier Paulus (oder vielleicht besser das Verständnis des CBMW von Paulus) und Mr. Wayne über den gleichen Kamm geschoren werden ist bedenklich. Die Unterschiede zwischen einem chauvinistischen Machoismus, der Frauen als Objekte sieht über die er herrscht, und einer fürsorglichen, dienenden 'Autorität' sind himmelweit. Doch wer nur ansatzweise über eine Möglichkeit unterschiedlicher Rollen aufgrund des Geschlechts nachdenken will, landet bei Du Mez automatisch im patriarchalischen Lager. Hier lässt sich nicht mehr über Nuancen einer 'Gender-unterschiedlichen' Auslegung diskutieren. Neil Shenvi stellt in seinem Artikel Sociology as Theology treffend fest:
Sobald wir die Idee akzeptieren, dass männliche Führung, egal wie nuanciert man sie qualifizieren will, eine Form von "christlichem Patriarchat" ist, wird es enorm schwierig sie zu verteidigen. (Meine Übersetzung)
So ganz nebenbei müsste man sich auch fragen, ob patriarchal wirklich das richtige Wort ist. Da dieses Wort heute negativ konnotiert wird, lässt es wenig Spielraum für Nuancen.
Das Problem zeigt sich noch grundsätzlicher. Darf man als Christ überhaupt noch über die Unterschiedlichkeit des Mann- und Frau-Seins als elementarem Teil der christlichen Nachfolge reden? Oder schmeckt das zu sehr nach patriarchalischer Indoktrination? Ich kann es offen zugeben, ich konnte mich noch nie mit dem stereotypen Männerbild eines John Eldrege identifizieren. Wieso sollte ich anstatt Kaffeetasse und Buch den Pfeilbogen in die Hand nehmen und durch den Wald streichen, um ein wahrer Mann nach dem Bilde Gottes zu werden? So stereotyp Eldrege und seine Waldläufer sein mögen, sie zeigen uns, dass gerade in evangalikal-christlichen Kreisen ein Diskussionsbedarf besteht. Wie geht Mann-Sein, wie funktioniert Frau-Sein? Obwohl Frauen nicht von der Venus und Männer nicht vom Mars sind, bestehen reale Unterschiede zwischen den beiden. Dabei ist die Gefahr des Stereotypisierens stets präsent. Doch wenn auf der anderen Seite jeder Unterschied aus Angst vor der dunklen Seite des Patriarchats ausgeblendet wird, stehen wir auch nicht besser da.
Und da war noch eine weitere Frage, die sich mir aufdrängte: Darf man 'Kampf' noch als Metapher für das geistliche Leben brauchen (wie das ja auch unser Apostel Paulus tut)? Oder propagiert man damit automatisch ein männliches, militantes Christentum?
Ihr seid doch alles Cowboys! Die Dekonstruktion der (amerikanischen) evangelikalen Bewegung.
Ist das, was Kristin Kobes Du Mez uns vorlegt einfach ein weiteres Geschichtsbuch über die Evangelikalen, wie dies der Klappentext behauptet? Natürlich beschreibt Du Mez die neuere Geschichte der amerikanischen Evangelikalen unter dem von ihr gewählten Gesichtspunkt. Doch sie beschreibt nicht nur, sie wertet normativ. Wie Shenvi in seiner scharfsinnigen Buchrezension bemerkt: '[Das Buch] beschreibt nicht einfach, was passiert ist; es fällt Werturteile über das, was passiert ist.' So lesen wir gegen Ende des Buches:
Obwohl der evangelikale Kult der Männlichkeit über Jahrzehnte zurückgeht ... Zu berücksichtigen, wie diese Ideologie sich über die Zeit entwickelt hat, ist essentiell, um sie niederzureissen. Was einmal errichtet wurde kann wieder niedergerissen werden. (S. 304, meine Übersetzung)
Wir haben es hier mit einem 'Kult der Männlichkeit', 'einer Ideologie' zu tun, der der Evangelikalismus anheim gefallen ist. Es ist eine gefährliche Ideologie, die dekonstruiert werden muss, hat sie doch die evangelikale Christenheit in den Ruin getrieben. Wir haben also nicht nur eine normative Präsentation der Dinge, sondern zudem ein politisches Programm vorliegen: diese Art von Evangelikalismus gehört abgeschafft.
Natürlich darf (und sollte) man negative Muster entlarven, bewerten und abschaffen. Du Mez' Buch kann uns mindestens dabei helfen, die Augen nicht vor solchen Mustern zu verschliessen. Doch Du Mez verlangt ja radikal mehr von uns. Sie will uns weismachen, dass der evangelikale, geistlich-theologische Strom im Kern nicht als legitime Version, geboren aus dem Ringen mit der Bibel und der christlichen Tradition verstanden werden darf. Nein, der Evangelikalismus des letzten Jahrhunderts (mit wenigen Ausnahmen) sei simpel der Versuch gewesen, patriarchale Macht zu zementieren und auszuweiten. Dazu nochmals der eingangs dieses Artikels erwähnte, paradigmatische Satz von ihr:
Die evangelikale Bewegung in Amerika ist nicht das Resultat ihres 'biblischen Literalismus' [also ihres biblischen Verständnisses, das sie prägt] ... sondern eine historische und kulturelle Bewegung, die sich durch das Anliegen geformt hat ... ihre eigene Macht auszuweiten. (Seite 14, Hervorhebung von mir)
Wir müssen klar sehen was Du Mez hier macht. Sie behauptet, dass die Evangelikalen ihre Daseinsberechtigung nicht primär aus der Bibel herleiteten (in einem Prozess der Auslegung der Bibel und einer Auseinandersetzung mit anderen Glaubenstraditionen). Vielmehr sei es dieser patriarchale Kontext, der das theologische und geistliche Schaffen der evangelikalen Bewegung vorantreibe, färbe und letztlich definiere. Man könnte genau so gut sagen, dass Evangelikale die Bibel lesen und auslegen, nur um am Ende doch wieder auf ihren John Wayne zurückzugreifen. Vielleicht liege ich auch falsch und Du Mez meint, dass Evangelikale auf dem Papier zwar eine 'valide' Theologie hätten, die aber letztlich wenig Einfluss auf ihre (patriarchal geprägte) Kultur und Praxis hat? [1] Doch dann lese ich wieder Sätze wie diesen:
Die evangelikale Sicht auf irgendein Thema ist ein Aspekt dieser grösseren kulturellen Identität, und keine Anzahl von Bibelversen kann diese grösseren Wahrheiten im Herzen [der Evangelikalen] vertreiben. (S. 298, Hervorhebung von mir)
Als weisser, evangelikaler Mann habe ich also eigentlich gar keine Chance, eine biblische Theologie zu formulieren, zu glauben und zu leben (nur mein Glück, dass ich nicht auch noch Amerikaner bin!). Egal wie 'biblisch' ich argumentiere, was am Ende dabei heraus kommt ist weniger 'die biblische Wahrheit' als eine Zementierung des patriarchalischen Status Quo. Meine evangelikale (patriarchale) Natur bestimmt, wie ich die Bibel verstehe - nicht die Bibel bestimmt, wie ich meinen evangelikalen Glauben (inklusive mein Mann-Sein) verstehen und leben soll. Du Mez kommt zum Schluss:
Die Evangelikalen 'müssen als kulturelle und politische Bewegung gesehen werden, nicht als eine Gemeinschaft, die sich durch ihre Theologie definiert.' (Seite 298) [2]
Dieser Move von Du Mez macht es ihr leicht, traditionelle Lehren wie das stellvertretende Sühnopfer Jesu mit einer Handbewegung vom Tisch zu wischen. In einer radikalen Kritik des New Calvinism meint Du Mez:
Die emotionale Seite der evangelikalen Erweckungsgeschichte verdrängend, betonten [die Vertreter des neuen Calvinismus] die Existenz der Hölle und den Zorn Gottes, der von Jesus ein stellvertretendes Opfer forderte, seinen blutigen Tod am Kreuz, der für die Sünden der Menschen sühnen sollte. (Seite 200)
Einmal von dieser eingleisigen theologischen Karikatur des Zornes Gottes abgesehen ermöglicht diese Darstellung, alte, historische, biblische Wahrheiten relativ schnell und kompromisslos wegzukippen. Entsprechen sie doch 'einer maskulinen Theologie' einer Bewegung, die sich im Kern durch ihr 'patriarchales Machtstreben' denunziert (S. 200). Wieso ist mir diese verborgene Machtdimension nie aufgefallen, als ich den Predigten von John Piper und Timothy Keller lauschte und dabei jedes Mal geistlich gestärkt und neu auf Christus fokussiert wurde?
Was soll man dazu sagen? Natürlich sind unsere theologischen Formulierungen immer auch 'kulturell gefärbt'. Wir sind Kinder unserer Zeit und Teil unserer Gruppe. Wir lesen die Bibel mit unserer Vorprägung, unseren Vorlieben und unserer Brille. Doch a priori zu behaupten, dass eine bestimmte Lesart der Bibel (nämlich die der Evangelikalen) per se 'kulturell gefangen' sei und unmöglich zur biblischen Wahrheit durchringen könne, tönt geradezu arrogant. Wenn Thorsten Dietz Autorinnen wie Du Mez und Beth Allison Barr in Schutz nimmt und meint, 'dass es ihnen nicht um eine Infragestellung der biblischen Wahrheit' ginge, sondern sie eine Sichtweise kritisieren wollen, 'die sich gerade nicht auf die Bibel berufen kann', frage ich mich, wieso Du Mez und andere die biblische Wahrheit ihrerseits so genau verfügbar haben und sie nicht selbst 'Gefangene' ihrer kulturellen Subgruppe sind. Dazu muss man anfügen, dass Du Mez an keiner einzigen Stelle des Buches biblisch-exegetisch argumentiert (nun gut, es ist ja ein Geschichtsbucht, aber so doch ein Geschichtsbuch, dass theologisch wertet). Sie scheint einfach vorauszusetzen, dass ihre Sicht der Dinge für ihre Leser selbstevident sind.
Warum Du Mez' Buch selber Ideologie-getrieben ist und dekonstruiert werden muss!
Für konservative, weisse Evangelikale, die von dieser [patriarchalischen] Ideologie durchdrungen sind, kann es sehr schwierig werden sich aus diesem Glauben, dieser Identität ... herauszuwinden. (Seite 302)
Kann ich als weisser (evangelikaler) Mann überhaupt einen solchen Artikel schreiben? Oder bin ich zu sehr einer Ideologie verfallen, die ich hier propagieren möchte? Der Leser entscheide selbst.
Kobes Du Mez' 'Geschichte des Evangelikalismus' attestiert dem weissen, evangelikalen Mann, dass dieser in allem was er denkt und tut seine Machtstellung zu bewahren suche. Auf diese Art kann jedes (evangelikale) theologische Anliegen auf ein verkapptes Machtspiel gedeutet und dann dekonstruiert werden, wie dieses Statement von Stephen Young schön offenbart:
Die Geschichte der [Debatte um die] ... Zuverlässigkeit und Unfehlbarkeit der Bibel unter Evangelikalen ist eine Geschichte des erfolgreichen Aktivismus für ein weisses Patriarchat. (Stephen Young auf Religion Dispatches) [3]
Also selbst die hohe Sicht der Evangelikalen von der Bibel (von ihrer Zuverlässigkeit und Unfehlbarkeit in dem, was sie aussagen will), spricht weniger über ihre Spiritualität (und nota bene ihre Verbindung mit der historischen Kirche), als über ihren Anspruch, durch eine bestimmte Sicht der Bibel ihre Lehren als wahr zu kreditieren und dadurch ihre 'Macht' zu konsolidieren. Eine theologische Debatte auf der Grundlage des Bibeltextes wird hier von vornherein als eine Usurpation von Macht verurteilt und so verunmöglicht. Wie Denny Burk auf einem Blogpost über Jesus and John Wayne schrieb:
Hinter jedem Verständnis von [evangelikaler] Wahrheit lauert jemandes Wille zur Macht. Das Ziel ist, diesen Machtanspruch, der sich als biblische Wahrheit maskiert hat, zu enttarnen und [das Argument] so zu zerstören.
Es muss ganz klar gesagt werden, dass Du Mez' Lesart selbst ideologisch gefärbt ist. Sie ist weder rein historisch noch neutral theologisch, sondern sie kommt einer Form von Identitätspolitik gleich. Sie verlangt von uns, dass wir all unsere biblischen Bekenntnisse gemäss einer bestimmten Vision von Geschlecht oder Rasse demontieren. Und dann können bestimmte essentielle evangelikale Lehren relativ einfach dekonstruiert werden, nämlich wenn sie nicht in dieses Raster passen (zum Beispiel das stellvertretende Opfer Jesu). Und es besteht die Gefahr, dass man sich am Ende gar nicht mehr darum bemüht, exegetisch mit der Bibel zu ringen (respektive einem weissen, evangelikalen Mann von vornherein abspricht, dass bei ihm dabei etwas Valides herauskommen könnte). Doch wenn wir alle biblisch formulierten Lehren nur noch als Ausdruck eines privilegierten (patriarchalischen) Status sehen können, wird unsere Diskussion sich immer mehr vom Biblischen ins Politische verlagern.
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[1] Gewiss gibt es die blinden Flecken und wir sind froh, dass Du Mez sie benennt, wie z. B. die amerikanische Immigrationspolitik (S. 297).
[2] Du Mez räumt zwar auch hier ein, dass man besser 'von einem Zusammenspiel' von Theologie und Kultur sprechen müsse (S. 298). Doch am Ende ist es dann doch wieder die 'Kultur', die triumphiert. Sie nennt hier das Beispiel der 'trinitarischen Subordination: Die Unterordnung des Sohnes unter den Vater in der immanenten (ewigen) Trinität'. Hier sehen wir gemäss Du Mez den Versuch, den patriarchalen Grundgedanken theologisch zu rechtfertigen. Dabei übersieht sie, dass diese Lesart der Trinität auch in konservativ-evangelikalen Kreisen nicht unumstritten ist, ja, in diesem Artikel auf der Webseite der Gospel Coalition (eines Netzwerks, dass für Du Mez durch und durch patriarchalisch tickt) sogar kritisiert wird.
[3] Du Mez geht in eine ähnliche Richtung was die 'Unfehlbarkeitsdebatte' anbelangt. (S. 108-109)
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