Kinder zu haben und ins Leben zu begleiten ist eines der schönsten Geschenke, die wir auf Erden haben und geniessen dürfen. Gleichzeitig 'ermöglichen' unsere Kinder uns Eltern Grenzerfahrungen, die wir sonst so nicht machen würden. Sie verstehen es, uns an Punkten herauszufordern, von denen wir vorher gar nicht wussten, dass es diese Problemzonen überhaupt gibt. Sie triggern Schwäche, Sünde und Unzulänglichkeit. Sie offenbaren mir, und dies zuverlässiger als jeder Selbsthilfekurs, wo ich selbst am Suchen, Kämpfen und manchmal am Verzweifeln bin. Kurz, meine kleinen Racker konfrontieren mich auf ihre Art mit dem Chaos in mir selbst (was natürlich nicht heissen soll, dass bei ihnen bereits alles in Ordnung wäre).
Das Evangelium von Jesus Christus wird mir immer wieder zu einer Quelle der Hoffnung und des Lebens, gerade in meiner 'Erziehungsarbeit'. Ohne dieses Evangelium wäre ich immer wieder mal aufgeschmissen. Zugegeben, ich bin es auch so, nur bleibe ich dann nicht am Boden liegen. Nun spricht die Bibel verhältnismässig wenig über Erziehung. Es gibt lediglich zwei, drei explizite Stellen, wie dass Väter ihre Kinder nicht zum Zorn reizen (Eph. 6,4), oder dass Kinder ihre Eltern ehren sollen (2. Mose 12,20). Trotzdem spricht die Bibel eine ganze Menge zu und über uns Eltern, über unsere Nöte und Bedürfnisse, zum Umgang mit unseren Schwächen und Stärken, über unsere Möglichkeiten und Grenzen. Sie tut dies (implizit) durch die Botschaft des Evangeliums. So leitet sie uns in Richtung eines Menschseins, das ganz von Gottes Gnade abhängig ist und nach Gottes heilender Gegenwart sucht, mitten im Chaos des Alltags.
Ich möchte nun sechs Aspekte aufzeigen, wie das Evangelium in unsere Situation des Eltern Seins hineinspricht. Dabei verzichte ich auf ein Prooftexting und gehe vielmehr davon aus, dass eine Theologie des Evangeliums im Background eine solche Reflexion ermöglicht. Noch etwas: Es geht hier um mehr als um Tipps und Tricks, sechs Schritte zum Erfolg, die richtigen Methoden. Das Evangelium holt uns dort ab, wo wir existenziell am strampeln, straucheln und manchmal versinken sind und führt uns in die Beziehung mit unserem Schöpfergott, der uns in jeder Situation seine Hand entgegenstreckt.
Nr. 1 - Demut. Wir Eltern sind eigentlich gar nicht 'besser' oder 'heiliger' als unsere Kinder, wenn es darum geht, dass wir immer wieder die gleichen Fehler machen, nur schwer und langsam lernen, unsere Schwächen (natürlich auch Stärken) haben und immer wieder an unseren Kindern versagen. Das klassische Beispiel wäre, wenn ich mein Kind anschreie, dass es bitte nicht herumschreien soll! Wenn wir uns immer wieder mal bewusst werden, dass Jesus auch für unser Versagen, für unsere Sünden sterben musste, macht uns das zu tiefenentspannteren, demütigeren Menschen. Vor dem Kreuz sind wir alle gleich! Wenn ein Kind erlebt, wie seine Eltern Schwäche zugeben, Schuld bekennen und Vergebung annehmen, lernt es, dass auch es ganz von Gottes Gnade abhängt. Wer dagegen denkt, dass er es selber auf die Reihe kriegen muss, der erwartet dasselbe unbewusst auch vom anderen. Eltern, die eine perfekte Leistung von sich selbst erwarten, erwarten eine perfekte Leistung vom Kind. Darum entgehen ihnen die Momente, wo sie mit Gnade und Annahme auf die Schwächen ihres Kindes eingehen könnten, ohne dabei ein Fehlverhalten gut zu reden. Das sind die Momente, in denen sie Gnade anstatt Verurteilung schenken und auf diese Weise den Ackerboden für den Samen des Evangeliums der Gnade bepflügen könnten.
Nr. 2 - Realität. Unsere Kinder sind eben Sünder, wie wir. Was erwarten wir eigentlich von ihnen? Ok, Sünde ist kein salonfähiges Wort mehr. Was meine ich damit? Ich will damit zum Ausdruck bringen, dass unsere Kinder von Natur aus auf sich selbst bezogen sind: 'Ich will es so, wie ich es will`!' 'Mein Wohl über das Wohl der anderen!' 'Nur ich will selber bestimmen, was gut für mich ist!' Mit diesem 'negativen Menschenverständnis' will ich nicht etwa die Bindungstheorie aushebeln, die besagt, dass Kinder grundsätzlich zum Kooperieren motiviert sind, um ihre Bindung mit den Eltern zu stärken. Ich erlebe beides und beides manchmal sehr nah nebeneinander. Die Bibel spricht von der Sünde als einem Seins-Zustand, einer autonomen Art des Denkens, Wollens und Handelns, die nicht die Ehre Gottes und das Wohl der anderen sucht. In diesem Zustand sind unsere Kinder verloren, wenn nicht Gott in seiner Gnade eingreift und sie rettet. Natürlich kann durch Erziehung ein bestimmtes Verhalten bis zu einem gewissen Grad 'anerzogen' oder 'eingeübt' werden. Trotzdem sind wir Eltern letztlich nicht in der Lage, unsere Kinder in ihrem tiefsten Wesen, in ihrem Herzen zu verändern. 'Realität' meint hier ganz einfach, dass wir nicht überrascht sein müssen, wenn unsere Kinder falsche Entscheidungen treffen, nicht auf uns hören und eben nicht immer kooperieren wollen und gegen uns rebellieren. Das Evangelium sollte uns daran erinnern, dass Sünde ein 'Problem' ist, das soweit geführt hat, dass Jesus sterben musste. Ja, das Problem der Sünde übersteigt unsere menschlichen Ressourcen unendlich.
Nr. 3 - Freiheit. Das Evangelium schafft ein familiäres Klima der Freiheit. Wir sind sündig, aber trotzdem angenommen. Wir dürfen Fehler machen und dann wieder aufstehen, umkehren und weitergehen. In einem Klima der Freiheit werden Fehler zugegeben. Sie müssen nicht vertuscht werden. Wir brauchen eine Erziehung, die unsere Kinder immer wieder in die Freiheit vor Gott einlädt. Momente, in denen das Kind seine Schwäche eingestehen kann, in denen es über seine Fehler weinen oder über sich selbst wütend sein darf. Das Evangelium wirkt dann am stärksten, wenn wir schwach und ehrlich sind. In solchen Momenten will das kindliche Herz näher zu Gott. Es will sich von seinen alten Verhaltensmustern abwenden. Es will verändert werden. In diesen Momenten ist uns das Privileg anheim gegeben, unseren Kindern die Gnade Gottes zuzusprechen. Denn hierin liegt die Freiheit der Kinder Gottes, dass sie zuerst angenommen sind, damit sie von dort aus durch Gottes Gnade wachsen und reifen dürfen. Ich gäbe viel, dass solche Momente mehr vorkämen.
Nr. 4 - Abhängigkeit. Wir können unsere Kinder nicht verändern, nicht wirklich und vor allem nicht von Grund auf (siehe These 2). Gut, wir können (und sollen!) unseren Kinder aufzeigen, was gut und richtig ist, was destruktiv und falsch ist. Wir können (und sollen!) Grenzen setzen und Konsequenzen durchsetzen. Wir sollen gute Gewohnheiten einüben und schlechte abgewöhnen. Das alles unbedingt! Denn wir sind Wegweiser zum guten und heiligen Leben und gleichzeitig Weggefährten, die schon oft gescheitert sind und auf Gottes Gnade angewiesen waren. Eines aber sollten wir uns auf die Handfläche tätowieren und an unsere Türpfosten schreiben: Wir vermögen unsere Kinder nicht zu retten. Unsere von Gott gegebene Aufgabe geht anders. Wir sollen jede Möglichkeit wahrnehmen, unsere Kinder zu Jesus zu führen und ihnen seine Gnade schmackhaft zu machen, ihnen zu vergeben und auf die Kraft des Evangeliums Gottes zu vertrauen. Gott bringt uns Eltern hier in eine eigentlich ganz unmögliche und gleichzeitig so wunderbare Position: Wir sind von Gott als Eltern über unsere Kinder gesetzt, um sie zu einem guten Leben zu erziehen. Gleichzeitig fehlt es uns an der Kraft und Möglichkeit, tiefgreifende und inwendige Veränderungen zu bewirken. Das Wunderbare ist, dass wir in unserer Begrenzung lernen dürfen, immer wieder loszulassen. Wir können unsere Kinder in die Hände des himmlischen Vaters loslassen, der noch viel besser und weiser und gnädiger für sie sorgt, als wir das je tun könnten. Ja, unsere Kinder brauchen unsere Gebete. Wir beten inbrünstig, dass sie Gottes Gnade erkennen mögen und dass Gottes Geist sich ihrer annimmt und sie nachhaltig prägt und von innen heraus verändert. Es ist sein Werk. Uns braucht er dazu als seine Evangelisten, als Überbringer der guten Nachricht.
Nr. 5 - Prozess und Beziehung. Es liegt eigentlich auf der Hand, Erziehung ist Beziehung und auf lange Sicht angelegt. Erziehung bedeutet nicht, dass wir hier und da 'halt' mal eingreifen müssen, wenn es sich nicht länger vermeiden lässt. Dass unser Intervenieren eine notwendige, aber nicht unbedingt gewünschte Abwechslung im Programm ist, von dem wir uns wünschen, dass es möglichst reibungslos und ohne grosse Zwischenfälle abläuft ('Zwischenfälle' sind sowieso vorprogrammiert, wenn wir These 2 im Blick haben). Erziehung impliziert vielmehr, dass wir mit solchen Momenten rechnen, sie sogar feiern, weil dann jedes Mal die Chance besteht, dass Gott durch sie wirken kann. Als Eltern sind wir uns bewusst, dass unsere Kinder 'im Werden sind' und dass Gott die guten sowie die schwierigen Situationen braucht, um sie zu formen. Wir fahren keine Vermeidungstaktik. Wir rechnen mit der transformierenden Kraft Gottes und machen uns verfügbar für sein Wirken in allen Momenten. Das impliziert zwei Dinge für uns. Erstens, eben dass wir uns verfügbar machen. Dies braucht unsere Energie, Zeit, Kraft und Hingabe. Wir müssen in den entscheidenden Momenten präsent sein. Zweitens impliziert es, dass wir unsere Kinder gut kennen, ihre Schwächen verstehen, ihren innern Kampf spüren. Dass wir ihre Herzenswünsche, das woran sie ihr Herzen hängen, wahrnehmen. Wir sind dann so viel besser in der Lage, die Gnade Gottes konkret in ihre Situation zu predigen, als wenn wir ihr auffälliges Benehmen als Sand im Getriebe abtun. Sand, den man einfach mal von Zeit zu Zeit ausschütten muss, damit es wieder rund läuft. Nein, wir bleiben dran. Einmal, zweimal, tausendmal. Das Evangelium will das Herz adressieren, zutiefst und zuinnerst. Es will dort andocken, wo wir hoffen, verzweifeln, begehren und anbeten. Das braucht Zeit, Aufmerksamkeit, Fokus, Präsenz. Wenn die Momente schon manchmal rar sind (wie oben gesagt), sollten wir sie nicht verpassen, weil wir uns um Wichtigeres (den Haushalt oder die Sprachnachricht auf dem Handy) kümmern müssen.
Nr. 6 - Identität: Jesus Christus gibt mir meine wahre Identität - nicht meine Kinder oder mein Erfolg als Papi oder Mami. Dieser Satz, so 'normal' er tönt, könnte wichtiger nicht sein. Was meine ich damit? Mir fällt auf, dass ich viel aus meinem vermeintlichen Erfolg meiner Erziehung ziehe. Wenn meine Kinder sich artig benehmen, kann das schon ein gutes Gefühl auslösen. Was aber, wenn andere merken, dass ich meine Kinder doch nicht so im Griff habe? Oder vielleicht sind wir zu stark bestrebt, unsere Kinder zu kontrollieren. Wenn sie parieren, fühlen wir uns wohl in unserem Kontrollstüblein. Aber wehe wenn sie rebellieren, dann fühlen wir uns persönlich angegriffen und abgelehnt. Hilfe, mein Kind hört nicht auf mich, liebt es mich denn noch? (Es sollte klar sein, dass These 2 die Sache hier verkompliziert!). Ich kann zu sehr nach der Bestätigung, dem 'wir finden dich super Papi' meiner Kinder streben, so als würde mein Tag davon abhängen. Und was wenn sie mich oder meine Idee abwählen? In all diesem horizontalen Gerangel nach Anerkennung, Bestätigung, Liebe und Respekt hilft manchmal nur die Flucht nach oben. Nur in Christus finden wir den Frieden und die Ruhe, die Annahme und die Liebe, nach der wir uns auch als Eltern zutiefst sehnen. Wenn wir die Sinnhaftigkeit und Erfüllung unseres Lebens von unseren Kindern erwarten, werden wir am Ende enttäuscht werden. Wenn wir es dann noch von ihnen einfordern, dann umso schlimmer für sie. Natürlich 'geben' unsere Kinder uns enorm viel an Erfüllung und Sinn. Trotzdem, das Loch in uns können sie unmöglich füllen. Wo ankert also unsere Identität, unser Selbstwert, unsere Würde? Nur in Jesus Christus. Er hat sich ganz für uns hingegeben, damit wir ganz ihm gehören. Je mehr wir dies erkennen, macht es uns bereit, uns für unsere Kinder hingeben zu dürfen, selbst wenn im ersten Moment gerade keine Geste der Anerkennung und Liebe zurückkommt.
Dieser Artikel wurde wesentlich von Paul David Tripp's 'Parenting: 14 Gospel Principles That Can Radically Change Your Family' und etwas weiter weg von Tim Kimmel's 'Grace-Based Parenting' mitgeprägt,
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