Die Berge, die es zu versetzen gilt, sind in unserem Bewusstsein.
(Reinhold Messner)
Berge mögen einstürzen und Hügel wanken, aber meine Liebe zu dir wird nie erschüttert, und mein Friedensbund mit dir wird niemals wanken.
(Jesaja 54,10)
Als Schweizer haben wir das Privileg, einfach so in die Berge gehen zu können. Zum wandern oder Ski fahren, um die Aussicht zu bewundern und frische Bergluft zu tanken. Die Berge sind tief im schweizerischen Bewusstsein verankert. Ich vermisse die Berge, wenn ich länger nicht da war. Berge sind irgendwie urtümlich. Klar, sie wurden einerseits für den Tourismus nutzbar gemacht. Es gibt zuweilen sogar städtische Infrastrukturen in den Bergen, Skilifte und Gondeln, die einen mühelos auf den nächsten Gipfel beamen. Gleichzeitig bleiben sie irgendwie unberechenbar und manchmal unbezwingbar. Und sie bieten, was ihre höchsten Gipfel betrifft, keinen Lebensraum für den Menschen. Die Luft wird zu dünn für uns da oben.
Berge in der Bibel illustrieren Gottes Schöpfermacht. 'Du bist es, der die Berge gründet in seiner Kraft, Stärke umgibt dich.' (Ps 65,7) Sie dienen als Bild für Gottes Gerechtigkeit: 'Deine Gerechtigkeit ist so beständig wie die Berge, die du geschaffen hast.' (Ps 36,7) Sie stehen aber auch für unüberwindbar scheinende Schwierigkeiten (Sach 4,7) so wie ein Berg, der einfach zu hoch für uns ist. Solche Berge aber, verheisst uns Jesus, können im Glauben versetzt werden (Mt 17,20).
Früher glaubte man, dass in den Bergen die Götter hausen. Heute ist diese Vorstellung längst entmystifiziert. Doch trotz unserer wissenschaftlichen Aufgeklärtheit bleiben wir empfänglich für das Sagenumwobene in Verbindung mit den Bergen. Alpensagen, Kraftorte, Pilgerrouten sind nur ein paar Stichworte diesbezüglich. Auch im Alten Testament war häufig ein Berg Ort der Begegnung mit Gott (Ex 19,18, Deut 33,1-5, Ps 50,2f). Folglich brachte man Gott auf diesen Bergen auch Opfer dar (1 Mose 31,54). Allerdings wurden Berge auch als Ort für Götzenopfer missbraucht (Jes 3,6; Hes 18,16), so dass der König Josia in seinen Reformbestrebungen auch auf den Bergen 'aufräumen' musste: 'Und er entfernte auch alle Heiligtümer auf den Höhen in den Städten Samariens, die die Könige von Israel gemacht hatten, um den HERRN zu erzürnen.'
(2 Könige 23,19)
Es gibt im Alten Testament zwei Berge, die an Bedeutung herausragen. Der Berg Sinai, auch Mosesberg genannt, ist zwar nur gerade 2285 Meter hoch. Und doch steht er im Zentrum der Geschichte und Identität Israels. Damals, als die Israeliten durch Gottes Eingreifen aus Ägypten befreit wurden, gelangten sie an den Fuss dieses Berges: 'Und Israel lagerte sich dort in der Wüste gegenüber dem Berg.' (2 Mose 19,2) Mose stieg diesen Berg hinauf, nicht um Alpkäse zu machen, sondern weil Gott ihm dort begegnen wollte: 'Und der HERR rief ihm vom Berge zu und sprach: So sollst du sagen zu dem Hause Jakob und den Israeliten verkündigen ...' (Vers 3) Dort auf dem Berg schloss Gott mit Mose und dem Volk Israel einen Bund und gab ihnen sein Gesetz, nach dem sie ihr gemeinsames Leben ausrichten sollten.
Später in der Geschichte Israels gab es da den Zionsberg, auch Tempelberg genannt, der eigentlich mehr ein Hügel denn ein wirklicher Berg ist. Trotzdem wurde er Berg genannt, wohl dank seiner prominenten Rolle. Denn auf ihm stand der Tempel Gottes.
Groß ist der HERR und hoch zu rühmen in der Stadt unsres Gottes, auf seinem heiligen Berge. Schön ragt empor sein Gipfel, daran sich freut die ganze Welt, der Berg Zion fern im Norden, die Stadt des großen Königs. (Ps 48,2-3)
Nicht die Götter, sondern Gott JHWH persönlich hauste auf diesem Hügel-Berg: 'Denke an den Berg Zion, den du dir als Wohnsitz erwählt hast!' (Ps 74,2b) Klammer auf - ist es nicht wieder mal typisch, dass Gott sich als Wohnung einen unbedeutenden Hügel und nicht den Mount Everest aussucht? - Klammer zu. Und nun wissen wir auch, wie der bekannte Psalm 121 zu verstehen ist. 'Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe?' (Ps 121,1) Nicht dass wir Schweizer gegenüber den Holländern hier einen Vorteil hätten. Zu den Bergen aufschauen heisst nämlich nichts anderes, als auf Gott zu schauen. Denn 'meine Hilfe kommt vom HERRN' (Vers 2). Weil dieser 'Berg' mit Gottes Gegenwart in Verbindung stand, wurde er im Alten Testament als heiliger Berg gekennzeichnet.
HERR, wer darf wohnen auf deinem heiligen Berge? (Ps 15,1)
Jesus zog sich gern auf einen Berg zurück, um dort ungestört beten und Gemeinschaft mit seinem Vater pflegen zu können (Mt 14,23, Joh 6,15). Kurz vor seiner Verhaftung und Kreuzigung stieg Jesus mit seinen drei Jüngern Petrus, Jakobus und Johannes 'auf einen hohen Berg, wo sie allein waren' (Mt 17,1). Dort begegnete er seinem himmlischen Vater und die Jünger wurden Zeugen seiner Herrlichkeit. Und dann gab es da folgende Berg-Szene, die unter dem Namen 'die Bergpredigt' in die Annalen einging :
Als Jesus die Menschenmenge sah, stieg er auf einen Berg. Er setzte sich, seine Jünger versammelten sich um ihn, und er begann sie zu lehren. (Matthäus 5,1-2)
Viele Ausleger sehen hier eine Parallele zu Mose auf dem Berg Sinai, als er das Gesetz Gottes empfing und es dem Volk verkündete. Auch Jesus lehrte seine Jünger das Gesetz Gottes auf dem Berg - in direkter und autoritativer Weise, denn er war 'grösser' als Mose (Apg 3,22). Über die Jahrhunderte bis zu Jesu Kommen wurde das Gesetz Gottes in alle möglichen Richtungen verdreht (Jer 8,8). Jesus kam aber nicht, um das mosaische Gesetz aufzuheben, sondern um es zu erfüllen (Mt 5,17) und um zu offenbaren, was es in seiner Essenz wirklich bedeutet: 'Ich aber sage euch ...!' Jesus spann den Bogen zurück zum Sinai und ordnete seine Person und seine Lehre in der grossen Story Gottes ein - als der Prophet, der Mose übertrifft - als Sohn Gottes.
Jesus ist auch 'grösser' als der Tempel auf dem Zionsberg (Mt 26,61). Man könnte sagen, dass Jesus den Tempel in seiner Essenz realisiert hat. Denn der Tempel war bis dahin der Ort, an dem Gott 'wohnte' und wo eine Begegnung mit ihm stattfinden konnte. Durch das Kommen Jesu aber wurde der Tempel überflüssig, weil Gott nun auf wundersame Weise als 'Mensch von Fleisch und Blut unter den Menschen lebte' (Joh 1,14). Man musste nicht länger auf den Berg kraxeln, um Gott anbeten zu können (Joh 4,21-23).
Jesus hatte auch seinen Lieblingsberg, den sogenannten Ölberg ausserhalb Jerusalems.
'Dann verließ Jesus die Stadt und ging wie gewohnt zum Ölberg.' (Lk 22,39)
Auf diesem Berg weihte Jesus seine engsten Jünger über die Dinge ein, die sich in naher und ferner Zukunft ereignen sollten: Das Ende des Jerusalemer Tempels, die Zeit des Gerichts und die kommende Drangsal (Mk 13,3). Von diesem Berg fuhr Jesus in den Himmel auf (Apg 1,12; Lk 24,50) und an derselben Stelle wird er wieder landen, wenn er zurückkommt (Apg 1,11). Gott, der das Universum geschaffen hat, beweist lokales Flair. Es ist nicht von ungefähr, dass dieser Berg bereits im Alten Testament von Bedeutung war, wenn es um das Kommen und Gehen der Gegenwart Gottes ging (Hes 11,23 und 43,1-5). Das eschatologische Kommen Jesu wird kosmische Folgen haben, denen selbst die Berge (zumindest dieser Berg) nicht standhalten werden:
An jenem Tag wird er auf dem Ölberg im Osten von Jerusalem stehen. Der Berg wird sich von Osten nach Westen spalten, so dass zwischen seiner Nordhälfte und seiner Südhälfte ein breites Tal entsteht. (Sacharja 14,4)
Wir Schweizer sind mit Bergen gesegnet. Und doch erinnert mich ihre Unwirtlichkeit und stille Kühle daran, wie schwer es doch ist, aus unser eigenen Kraft den Berg Gottes zu erklimmen und dort Wohnung zu finden. Und so fühle ich emphatisch mit, wenn der Psalmist ruft:
Aus weiter Ferne, wie vom Ende der Erde, rufe ich zu dir, denn mein Herz ist mutlos geworden. Ach führe mich doch auf jenen Felsen, der für mich zu hoch ist! (Psalm 61,3)
Der Mensch mag es beim K2 und Annapurna geschafft haben, Aber der Berg Gottes lässt sich nicht ohne weiteres bezwingen. Denn: 'Wer darf zum Berg des HERRN hinaufgehen, und wer darf an seiner heiligen Stätte vor ihm stehen? Jeder, dessen Herz und Hände frei von Schuld sind.' (Psalm 24,3-4) Das heisst im Endeffekt leider niemand! Oder doch? Die gute Nachricht ist: Jesus ist uns vorausgestiegen. Er, dessen Herz und Hände frei von Schuld waren, trug sein Kreuz auf den Berg Golgatha (man müsste eher sagen 'Hügel'), damit wir nun durch ihn und ohne unsere eigenen Seile und Steigeisen auf den Berg Gottes, in die Gegenwart Gottes kommen können. Ja, Jesus ist selbst zu unserem Felsen geworden, auf dem wir unser Leben stabil aufbauen können (Jes 26,4, Ps 62,7). Jesus ist unser Hausberg geworden, ein festes Fundament, das uns trägt. Ein Ort, an dem wir bis in alle Ewigkeit sicher wohnen dürfen.
Siehe, es ist ein Raum bei mir; da sollst du auf dem Fels stehen. (Exodus 33,21)
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